Vertragsanpassung nur bei unzumutbarer Härte
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 12. März 2025 (Az. IV ZR 32/24) entschieden, dass ein privater Krankenversicherer die Höhe des vereinbarten Krankentagegeldes nicht einseitig herabsetzen darf, wenn die zugrunde liegende vertragliche Kürzungsklausel unwirksam ist. Eine spätere Ersetzung dieser Klausel durch neue Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sei nur dann wirksam, wenn das Festhalten am Vertrag für den Versicherer eine unzumutbare Härte darstellt. In dem konkreten Fall der Höhe des Krankentagegeldes ist es dem Krankenversicherer aber nicht unzumutbar, gegebenenfalls ein über dem letzten Nettoeinkommen liegendes Krankentagegeld zu zahlen.
Der Versicherer hatte dem Vertrag ursprünglich eine Klausel zugrunde gelegt, die es ihm erlaubte, das Krankentagegeld bei gesunkenem Einkommen zu kürzen. Die Regelung entsprach § 4 Abs. 4 MB/KT 2009 und lautete:
„Sinkt das durchschnittliche Nettoeinkommen der versicherten Person in einem Zeitraum von 12 Monaten unter die Höhe des dem Vertrag zugrunde gelegten Nettoeinkommens, kann der Versicherer, auch wenn der Versicherungsfall bereits eingetreten ist, das Krankentagegeld und den Beitrag entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen herabsetzen.“
Diese Klausel hatte der BGH bereits 2016 (Az. IV ZR 44/15) wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 BGB) für unwirksam erklärt.
In Reaktion auf diese Rechtsprechung ersetzte der Versicherer die Klausel im Jahr 2018 durch eine neue Fassung, die detailliertere Maßgaben zur Bemessung des Nettoeinkommens enthielt. Die neue, ebenfalls vom BGH geprüfte Regelung lautete auszugsweise:
„Sinkt das durchschnittliche Nettoeinkommen der versicherten Person in einem Zeitraum von 12 Monaten unter die Höhe des dem Vertrag zugrunde gelegten Nettoeinkommens, kann der Versicherer, auch wenn der Versicherungsfall bereits eingetreten ist, das Krankentagegeld und den Beitrag entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen herabsetzen. […] Die Herabsetzung des Krankentagegelds und des Beitrags wird von Beginn des zweiten Monats nach Zugang der Herabsetzungserklärung beim Versicherungsnehmer wirksam.“
Der Bundesgerichtshof urteilte, dass die neue Klausel nicht wirksam in den Vertrag einbezogen wurde. Zwar könne ein Versicherer grundsätzlich eine unwirksame Klausel durch eine neue ersetzen (§§ 164 Abs. 1 Satz 1, 204 Abs. 4 VVG), jedoch nur dann, wenn:
• eine echte Regelungslücke besteht und
• die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung erfüllt sind, insbesondere das Festhalten am Vertrag ohne die Regelung für eine Partei unzumutbar wäre (§ 306 Abs. 3 BGB).
Diese Voraussetzungen verneinte der BGH. Eine potenzielle Überversicherung – also die Möglichkeit, dass der Versicherungsnehmer im Krankheitsfall mehr erhält als zuvor netto verdient – sei kein Grund für eine unzumutbare Härte. Eine solche Differenz sei vielmehr typisches Risiko der Summenversicherung, zu der auch die Krankentagegeldversicherung zählt. Der Versicherungsnehmer hat aus diesem Grund auch kein Anpassungsrecht, wenn er deutlich mehr als ursprünglich angenommen verdient, so der BGH.
Damit grenzt das sehr ausführliche begründete Urteil die Rechte der Versicherer zur nachträglichen Vertragsänderung klar ein. Selbst wenn eine frühere AVB-Klausel vom BGH für unwirksam erklärt wurde, berechtigt das nicht automatisch zur einseitigen Einführung einer neuen Regelung mit vergleichbarem Inhalt. Vielmehr dient auch das im VVG geregelt einseitige Recht zu Vertragsanpassung dem Ausgleich schwerwiegender Vertragsstörungen, die aber immer auch am schutzwürdigen Interesse des Verbrauchers am Bestand des Vertrages zu messen sind.
„Das Urteil schafft wichtige Klarheit – auch für die Beratungspraxis“, so Rechtsanwalt Tobias Strübing von Wirth Rechtsanwälte. „Versicherungsvermittler wie Versicherungsnehmer sollten wissen: Eine nachträgliche Änderung von Versicherungsbedingungen ist rechtlich nur in engen Ausnahmefällen zulässig.“