Ein Mann fasst an sein verletztes Knie

Berufsunfähigkeitsversicherung: OLG Karlsruhe stärkt Rechte von Profisportlern

Am 5. Dezember 2024 fällte das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe ein wichtiges Urteil (Az.: 12 U 34/24) zur Berufsunfähigkeitsversicherung von Profisportlern. Dabei wurde die Frage behandelt, unter welchen Voraussetzungen ein ehemaliger Profifußballer auf eine andere berufliche Tätigkeit verwiesen werden kann, ohne dass seine Berufsunfähigkeitsrente entfällt. 

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Berufsunfähigkeit im Profisport: Hintergrund des Falls

Der Kläger, ein früherer Profifußballtorwart, hatte im Jahr 1999 eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Ursprünglich war er als Bankkaufmann tätig, wechselte aber später in den Profisport und verdiente in seinen besten Jahren über 500.000 € brutto jährlich. Nach einer schweren Knieverletzung im Jahr 2014 musste er seine Karriere beenden und wurde als berufsunfähig anerkannt. Seine Versicherung zahlte daraufhin die vereinbarte Rente. 

Im Jahr 2022 nahm der Kläger eine Anstellung als Torwarttrainer an, mit einem Jahreseinkommen von rund 97.000 € brutto. Daraufhin stellte die Versicherung die Zahlungen ein und argumentierte, dass der Kläger durch seine neue Tätigkeit eine seiner bisherigen Lebensstellung entsprechende Erwerbstätigkeit ausübte. 

Berufsunfähig? Entscheidung des OLG Karlsruhe

Das Gericht stellte klar, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung des Profisportlers nicht berechtigt war, ihre Leistungen einzustellen. Entscheidende Argumente waren: 

  1. Vergleichbarkeit der Tätigkeiten: Die neue Anstellung als Torwarttrainer war zwar fachlich verwandt, aber nicht gleichwertig mit der früheren Karriere als Profisportler. Die Lebensstellung eines Profis wird nicht nur durch die Fachkenntnisse, sondern auch durch Prestige, Medienpräsenz und Verdienst geprägt. 
  2. Einkommensverlust: Die Einkommensdifferenz betrug mehr als 77 %, was eine erhebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lebensstellung des ehemaligen Profisportlers darstellt. Zwar dürfen Versicherte gewisse Einkommenseinbußen hinnehmen, doch in diesem Fall war die Reduktion nicht mehr zumutbar. 
  3. Falsche Vergleichsgrundlage der Versicherung: Die Berufsunfähigkeitsversicherung argumentierte, dass das neue Einkommen des Klägers mit dem zu erwartenden Einkommen eines Ex-Profis nach Karriereende vergleichbar sei. Das Gericht wies dies zurück und stellte fest, dass das relevante Vergleichseinkommen das Einkommen zum Zeitpunkt der Berufsunfähigkeit sei. 
  4. Mangelhafte Begründung der Leistungseinstellung: Das Gericht kritisierte, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht ausreichend dargelegt hatte, weshalb die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Klägers entspreche. Die bloße Angabe, dass ein Profifußballer nach Karriereende ohnehin weniger verdienen würde, sei nicht ausreichend. 
  5. Unzureichende Verweisung: Eine Verweisung auf eine neue Tätigkeit setzt voraus, dass sie der bisherigen Lebensstellung des Versicherten nicht spürbar unterlegen ist. Das Gericht entschied, dass es nicht genüge, wenn eine neue Tätigkeit nur “einigermaßen” an die frühere heranreiche. Vielmehr sei ein umfassender Vergleich der sozialen Stellung und der Einkommensverhältnisse erforderlich. 
  6. Stichtagprinzip: Maßgeblich für die Beurteilung der Lebensstellung ist der Zeitpunkt der Berufsunfähigkeit. Die Berufsunfähigkeitsversicherung hätte daher nicht darauf abstellen dürfen, welche Tätigkeit der Kläger theoretisch nach Karriereende ohne Verletzung hätte ausüben können

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Rechtliche Rahmenbedingungen für die Leistungseinstellung in der Berufsunfähigkeitsversicherung 

Die Einstellung von Leistungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung unterliegt strengen gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben. Grundlage ist vor allem das Versicherungsvertragsgesetz (VVG), insbesondere die Paragrafen § 172 VVG (Begriffsbestimmung der Berufsunfähigkeit) und § 174 VVG (Nachprüfungsverfahren). Darüber hinaus sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der jeweiligen Versicherungsverträge entscheidend. 

Fortlaufende Leistungspflicht des Versicherers:

Sobald eine Berufsunfähigkeit anerkannt ist, hat der Versicherer weiterhin zu zahlen, solange die Voraussetzungen bestehen. Eine Einstellung der Berufsunfähigkeitsrente darf nur nach sorgfältiger Prüfung und mit nachvollziehbarer Begründung erfolgen. 

Nachprüfung der Berufsunfähigkeit

Der Versicherer hat das Recht, in regelmäßigen Abständen überprüfen zu lassen, ob die Berufsunfähigkeit fortbesteht. Dabei muss er darlegen, dass sich der Gesundheitszustand oder die beruflichen Möglichkeiten des Versicherten wesentlich verändert haben.

Verweisung auf eine andere Tätigkeit

Eine Einstellung der Leistungen der Berufsunfähigkeitsversicherung ist nur möglich, wenn der Versicherte eine neue berufliche Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Entscheidend sind nicht nur das Einkommen, sondern auch berufliche Perspektiven, soziale Wertschätzung und individuelle Qualifikationen. 

Verbot willkürlicher Entscheidungen

Versicherer dürfen Leistungen nicht einseitig ohne stichhaltige Begründung einstellen. Jeder Schritt muss schriftlich und mit nachvollziehbarer Argumentation erfolgen. Unzulässig sind etwa pauschale Verweise auf den Arbeitsmarkt oder hypothetische Erwerbsmöglichkeiten. 

Beweislast des Versicherers

Der Versicherer trägt die Beweislast dafür, dass sich die Umstände so geändert haben, dass die Leistungseinstellung gerechtfertigt ist. Insbesondere muss die Berufsunfähigkeitsversicherung nachweisen, dass die neue Tätigkeit wirtschaftlich und sozial gleichwertig ist. 

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Praxisrelevanz für Versicherte und Vermittler

Versicherer sind verpflichtet, detailliert zu begründen, warum sie eine Berufsunfähigkeitsrente einstellen. Eine unzureichende oder pauschale Begründung kann unzulässig sein. Falls eine Versicherung die Berufsunfähigkeit infrage stellt, kann es sinnvoll sein, eine unabhängige medizinische oder berufliche Begutachtung einzuholen. 

Eine neue berufliche Tätigkeit muss objektiv der bisherigen Lebensstellung entsprechen. Dabei sind nicht nur das Einkommen, sondern auch das Ansehen, die Karriereperspektiven und die individuellen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Versicherungsrecht ist komplex. Ein erfahrener Anwalt für Versicherungsrecht kann dabei helfen, unberechtigte Leistungseinstellungen erfolgreich anzufechten. 

Versicherte sollten zudem jegliche Kommunikation mit der Versicherung gut dokumentieren und sicherstellen, dass sie alle relevanten Unterlagen zu ihrem beruflichen Werdegang und Gesundheitszustand griffbereit haben. 

Versicherer versuchen häufig, Leistungen einzuschränken oder einzustellen, um Kosten zu sparen. Dieses Urteil zeigt, dass Versicherungsnehmer nicht schutzlos sind und dass sich eine präzise rechtliche Argumentation lohnen kann. Vermittler und Makler sollten Kunden dazu ermutigen, Versicherungsentscheidungen nicht ungeprüft hinzunehmen, sondern im Zweifel professionelle Beratung einzuholen.   

Tobias Strübing

Fachanwalt für Versicherungsrecht
Ihr Ansprechpartner rund um alle Pressemeldungen zum Versicherungsrecht: Tobias Strübing