Eine Frau informiert sich über das BGH-Urteil zur Unfall-Kombirente

BGH-Urteil zur Unfall-Kombirente: Kein Verstoß gegen das Transparenzgebot und die Regelungen des VVG 

Mit seinem Urteil vom 11. Dezember 2024 (Az.: IV ZR 498/21) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine zentrale Frage des Versicherungsrechts geklärt: Darf ein Versicherer eine Unfall-Kombirente durch ordentliche Kündigung beenden? Der BGH entschied zugunsten der Versicherungsgesellschaft und stellte klar, dass die entsprechenden Klauseln weder gegen das Transparenzgebot noch gegen gesetzliche Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) verstoßen. 

Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Frage, ob die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen für die Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung (§§ 170 ff. VVG) auf die Unfall-Kombirente anwendbar sind. Der BGH stellte eindeutig fest, dass dies nicht der Fall ist. 

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Hintergrund des Verfahrens

Geklagt hatte ein Verbraucherschutzverein gegen einen Versicherer, der von 2006 bis 2010 eine sogenannte Unfall-Kombirente angeboten hatte. Diese Versicherung gewährte Leistungen nach einem Unfall, bei Verlust bestimmter Grundfähigkeiten oder nach Einstufung in eine Pflegestufe. In den Vertragsbedingungen (AUB 2008) war jedoch ein ordentliches Kündigungsrecht für den Versicherer vorgesehen. 

Im Jahr 2018 entschied das Unternehmen, alle bestehenden Verträge nicht fortzuführen. Den Versicherten wurde ein Wechsel in eine Existenzschutz-Versicherung angeboten, andernfalls werde der Vertrag zur Hauptfälligkeit gekündigt. Daraufhin klagte der Verbraucherschutzverein und argumentierte, dass das Kündigungsrecht den Versicherungsnehmer unangemessen benachteilige und gegen § 170 VVG verstoße. 

Die Argumentation des BGH zu § 170 VVG 

Ein zentraler Streitpunkt war, ob die Regelungen zur ordentlichen Kündigung im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) auf die Unfall-Kombirente Anwendung finden – insbesondere § 170 VVG, der sich mit der Beendigung von Lebensversicherungen befasst. 

Kein gesetzliches Kündigungsverbot für Unfallversicherungen 

Der BGH stellte klar, dass § 170 VVG nicht für die Unfall-Kombirente gilt, weil diese Versicherung keine Lebensversicherung im Sinne des Gesetzes ist. § 170 Abs. 1 VVG bestimmt, dass eine Lebensversicherung nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen beendet werden kann. Ein ordentliches Kündigungsrecht des Versicherers ist dort grundsätzlich nicht vorgesehen. 

Diese Regelung dient dem Schutz des Versicherten, da eine Lebensversicherung typischerweise langfristige finanzielle Absicherung bietet, die nicht ohne weiteres beendet werden soll. Anders als bei einer Unfall-Kombirente liegt bei einer klassischen Lebensversicherung das Hauptziel darin, einen Kapitalaufbau oder eine Risikoabsicherung über lange Zeiträume hinweg zu gewährleisten. 

Da die Unfall-Kombirente keine lebenslange Kapitalbildung, sondern eine leistungsbezogene Absicherung nach Gesundheitsbeeinträchtigungen vorsieht, kommt § 170 VVG nicht zur Anwendung. 

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Keine analoge Anwendung von § 170 VVG auf die Unfall-Kombirente

Das Oberlandesgericht Köln hatte argumentiert, dass die Unfall-Kombirente mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vergleichbar sei, weshalb ein analoger Rückgriff auf § 170 VVG gerechtfertigt sei. Der BGH widersprach dieser Auffassung ausdrücklich. 

Warum ist eine Analogie ausgeschlossen? 

• Eine Analogie setzt voraus, dass eine gesetzliche Regelungslücke besteht und eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. 

• Die Unfall-Kombirente fällt jedoch ausdrücklich unter die Unfallversicherung im Sinne von § 177 Abs. 2 VVG, der eine Anwendung der Vorschriften zur Lebensversicherung ausdrücklich ausschließt. 

• Das bedeutet: Der Gesetzgeber hat bewusst entschieden, dass Unfallversicherungen nicht den gleichen Schutzmechanismen unterliegen wie Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen. 

Der BGH stellte klar, dass sich die Unfall-Kombirente wesentlich von einer Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung unterscheidet. Daher könne § 170 VVG weder direkt noch analog angewendet werden. 

Die weiteren Erwägungen des BGH zur Kündigungsregelung

Nachdem der BGH festgestellt hatte, dass die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen für Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen nicht greifen, prüfte er, ob die Kündigungsklauseln in den AUB 2008 gegen das Transparenzgebot oder das AGB-Recht verstoßen. 

Transparenz der Klauseln

Die ordentliche Kündigungsmöglichkeit sei klar und verständlich formuliert. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer könne den AUB 2008 entnehmen, dass der Vertrag durch eine Kündigung vorzeitig enden könne. Es gebe keine Irreführung oder Unklarheiten, sodass die Klausel wirksam sei. 

Kein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB

Die ordentliche Kündigung sei keine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer. Die Verträge liefen grundsätzlich befristet, mit jährlicher Verlängerungsmöglichkeit. Das Risiko einer Kündigung sei für Versicherungsnehmer vorhersehbar und daher zumutbar. 

Kein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Der BGH sah keine willkürliche oder unangemessene Rechtsausübung durch die Versicherung. Es sei nicht rechtsmissbräuchlich, wenn ein Versicherer sich von unrentablen Verträgen trennen wolle, solange dies vertraglich vereinbart war.   

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Relevanz und Auswirkungen des Urteils 

Das Urteil hat wesentliche Folgen für die Versicherungsbranche und Verbraucher: 

• Versicherer dürfen Unfall-Kombirenten weiterhin ordentlich kündigen, sofern dies vertraglich vereinbart und transparent geregelt ist. 

• Verbraucher müssen sich bewusst sein, dass Unfallversicherungen keinen lebenslangen Schutz bieten, sondern in der Regel befristet und kündbar sind. 

• Der Gesetzgeber hat klar zwischen Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherungen unterschieden, was eine analoge Anwendung von § 170 VVG ausschließt. 

Das Urteil stärkt damit die vertragliche Gestaltungsfreiheit der Versicherer und stellt klar, dass eine Unfall-Kombirente keine Garantie auf lebenslangen Versicherungsschutz bietet. 

Fazit: Keine Gleichstellung mit Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung 

Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Grenzen des Kündigungsschutzes in der Unfallversicherung klar definiert. 

• § 170 VVG gilt nicht für die Unfall-Kombirente, weil sie keine Lebensversicherung ist. 

• Eine analoge Anwendung des Kündigungsverbots aus dem Lebensversicherungsrecht ist nicht gerechtfertigt. 

• Das ordentliche Kündigungsrecht der Versicherer bleibt wirksam, solange es transparent geregelt ist. 

Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen für die Versicherungswirtschaft und Verbraucher, da es die Abgrenzung zwischen Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherung klarstellt. Kunden sollten künftig genau prüfen, ob ihr Vertrag eine ordentliche Kündigung durch den Versicherer erlaubt, um keine unerwarteten Überraschungen zu erleben. 

Tobias Strübing

Fachanwalt für Versicherungsrecht
Ihr Ansprechpartner rund um alle Pressemeldungen zum Versicherungsrecht: Tobias Strübing