Handelsvertreter prüft Vertrag

Ausgleichsanspruch und Stornoreserve nach Vertragsende im Handelsvertreterrecht 

Versicherungsvermittler stehen beim Ende ihres Handelsvertretervertrags oft vor zwei wichtigen Fragen: Habe ich Anspruch auf eine Kundenentschädigung (Ausgleichsanspruch) gem. § 89b HGB? Und was passiert mit meiner einbehaltenen Stornoreserve? In diesem Beitrag beleuchten wir diese nachvertraglichen Ansprüche – unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung – und geben praxisrelevante Hinweise für Versicherungsvertreter. 

Der Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) – „Kundenanspruch“ nach Vertragsende 

Was ist der Ausgleichsanspruch? Nach § 89b HGB kann ein Handelsvertreter beim Ende des Vertrags vom Unternehmer eine einmalige Ausgleichszahlung verlangen. Dieser Kundenausgleich soll den Vertreter dafür entschädigen, dass er dem Unternehmen einen Kundenstamm aufgebaut hat, der dem Unternehmen auch nach seinem Ausscheiden Gewinne oder zumindest wirtschaftliche Vorteile bringt. 

Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs 

Damit ein Ausgleichsanspruch entsteht, müssen aber mehrere Bedingungen erfüllt sein: 

  • Vertragsende: Der Anspruch entsteht mit Vertragsende und muss innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden, sonst verfällt er. 
  • Neue Kunden oder erweiterter Bestand: Der Vertreter hat neue Kunden geworben oder den Umsatz mit bestehenden Kunden wesentlich ausgebaut. 
  • Vorteile für das Unternehmen nach Vertragsende: Die Kunden bringen dem Unternehmen weiterhin Umsätze/Gewinne. 
  • Billigkeit: Der Vertreter erleidet durch das Vertragsende einen Provisionsverlust, der auszugleichen ist. 

Ausschlussgründe: Kein Anspruch besteht z. B. bei Kündigung durch den Vertreter ohne besonderen Anlass oder bei berechtigter fristloser Kündigung durch das Unternehmen. 

Aktuelle BGH-Rechtsprechung: Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 5.11.2020 (VII ZR 188/19) klargestellt, dass die gesetzlichen Ausschlussfälle des § 89b Abs. 3 HGB abschließend sind. Im entschiedenen Fall endete ein Vertretervertrag durch eine auflösende Bedingung. Der BGH hob das Urteil der Vorinstanz auf: Nur die ausdrücklich im Gesetz genannten Beendigungstatbestände rechtfertigen den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs. Außerdem hat der BGH in seinem Urteil vom BGH, Urteil vom 13. August 2015 – VII ZR 90/14 entschieden, dass an den “begründeten Anlass” im Sinne von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB weniger strenge Anforderungen als an den des “wichtigen Grundes” (§ 89a Abs. 1 HGB) zu stellen sind, sodass hierfür auch ein unverschuldetes oder sogar rechtmäßiges Verhalten des Unternehmers genügen kann. Ein Handelsvertreter bekommt einen Ausgleich für die von ihm gewonnenen Kunden, also auch dann, wenn es „nur“ einen triftigen Grund für eine ordentliche Kündigung gab, ohne dass gleichzeitig auch ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorgelegen haben muss. Das ist wichtig zu wissen, da es häufig nachvollziehbare und auch in der Person des Unternehmens liegende Gründe gab, warum der Handelsvertretervertrag gekündigt wurde. In diesem Fall können also auch weiterhin Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Ausgleichs für die gewonnenen Kunden bestehen. 

Durchsetzung und Berechnung 

Die Höhe ist auf maximal eine Jahresdurchschnittsvergütung der letzten fünf Jahre begrenzt. Bei Versicherungsvertretern kann sich ein erhöhter Rahmen ergeben, da die Kundenbeziehung oft besonders nachhaltig ist. In der Praxis dienen branchenspezifische Berechnungsmodelle als Grundlage. Laut BGH ist deren Anwendung auch ohne vertragliche Vereinbarung zulässig. 

Wichtig: Der Ausgleich muss innerhalb eines Jahres nach Vertragsende geltend gemacht werden. Ein vertraglicher Vorabverzicht ist unwirksam. Der BGH hat 2016 (Urteil vom 25.02.2016, VII ZR 102/15) entschieden, dass eine Klausel, die bereits gezahlte Vergütung auf den Ausgleichsanspruch anrechnet, unwirksam ist. 

Beispiel: Ein Vertreter scheidet nach zehn Jahren aus. Die von ihm betreuten Kunden bleiben der Gesellschaft treu. Der Vertreter verlangt eine Ausgleichszahlung. Der Versicherer verweist auf eine vertragliche Anrechnung bereits gezahlter Provisionen. Diese ist laut BGH nicht zulässig, der Vertreter hat Anspruch auf den vollen Ausgleich. 

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Die Stornoreserve – einbehaltene Provisionen nach Vertragsende 

Unter Stornoreserve versteht man den einbehaltenen Teil der Abschlussprovision als Sicherheit für mögliche Vertragsstorni. Die Stornohaftung beträgt gemäß § 149 VAG fünf Jahre. Nach § 87a HGB entsteht der Provisionsanspruch grundsätzlich mit Ausführung des Geschäfts, wird aber durch die Stornohaftung relativiert. Für Versicherungsvertreter gilt aber § 92 Abs. 4 HGB, wonach der Anspruch auf die Provision erst dann entsteht, wenn der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision errechnet. 

Die Reserve wird einzeln je Vertrag geführt und soll nach Ablauf der Haftungszeit freigegeben werden. Nach Vertragsende stellt sich die Frage: Wann ist die Stornoreserve auszuzahlen? 

Nach der Rechtsprechung gilt: 

  • Enthält der Vertrag keine Regelung zum Verbleib der Stornoreserve nach Vertragsende, muss sie ausgekehrt werden, sobald das Risiko entfallen ist. Ohne ausdrückliche Nachvertragsregelung ist die Reserve nach Vertragsbeendigung sofort auszuzahlen. 
  • Enthält der Vertrag eine Klausel, die die Auszahlung an den Ablauf aller Haftungszeiten und die Begleichung aller Forderungen knüpft, kann dies unangemessen benachteiligend und damit unwirksam sein. Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 26.10.2012, I-16 U 146/11) erkannte eine formularmäßige Klausel als unwirksam an, weil sie den Vertreter unzumutbar lange von seiner Provision fernhielt. 
  • Der Vertreter kann eine Schlussabrechnung verlangen. Der Versicherer muss für jeden Einbehalt konkret darlegen, warum noch ein Risiko besteht. Andernfalls ist die Summe auszukehren. 

In der Praxis kommt es häufig vor, dass Versicherer nach Vertragsende die Auszahlung der Stornoreserve pauschal verweigern oder verzögern. Dabei wird häufig argumentiert, dass potenzielle Stornorisiken für die Gesamtheit der Verträge weiterhin bestünden. Eine derartige pauschale Zurückhaltung ist rechtlich problematisch. Es ist stets im Einzelfall zu prüfen, für welche Verträge tatsächlich noch eine Haftung besteht. 

Ferner dürfen einbehaltene Stornoreserven nicht mit anderen – unter Umständen streitigen – Forderungen des Unternehmers gegen den Vertreter verrechnet werden, wenn keine ausdrückliche vertragliche Regelung dies zulässt. Eine solche Verrechnung würde gegen das Transparenzgebot im AGB-Recht verstoßen und ist regelmäßig unzulässig. 

Ein häufiger Streitpunkt ist auch die fehlende Transparenz der Abrechnungen. Vertreter erhalten häufig nur globale Angaben zur Reservehöhe, nicht aber eine nachvollziehbare Einzelauflistung. Hier besteht ein Anspruch auf Einsicht und detaillierte Abrechnung – notfalls gerichtlich durchsetzbar. 

Beispiel: Eine Vertreterin beendet ihre Tätigkeit. Die Schlussabrechnung weist eine Stornoreserve von 15.000 € aus. Der Versicherer verweigert die Auszahlung mit Verweis auf eine 24-monatige Sperrfrist. Eine Prüfung ergibt: Viele Verträge sind länger als fünf Jahre in Kraft, das Risiko ist entfallen. Sie verlangt eine detaillierte Abrechnung. Der Versicherer muss zahlen, soweit keine Haftung mehr besteht. 

Fazit und Empfehlung 

Versicherungsvertreter sollten ihre nachvertraglichen Rechte kennen. Wer einen Ausgleichsanspruch geltend machen möchte, muss dies fristgerecht tun. Unfaire Ausschlussklauseln haben vor Gericht keine Chance. Auch einbehaltene Stornoreserven sind zu prüfen: Besteht das Stornorisiko nicht mehr, muss der Betrag ausgezahlt werden. 

Die Kanzlei Wirth Rechtsanwälte ist auf das Handelsvertreterrecht spezialisiert. Wir prüfen Ihre vertragliche Situation und helfen bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche. Kontaktieren Sie uns gern für eine unverbindliche Ersteinschätzung. 

Tobias Strübing

Fachanwalt für Versicherungsrecht
Rechtsanwalt für Unfallversicherung Tobias Strübing